Wissen und Unwissen über die Geschichte des 20. Jahrhunderts

Die Geschichte der einzelnen Gebäude Lüdersens ist - mit Ausnahme der Neubaugebiete aus dem Ausgang des 20. Jahrhunderts - im Buch zur Ortsgeschichte sehr gut dokumentiert, auch etliche Details aus dem dörflichen Alltagsleben sind bekannt. Eine große Lücke besteht aber zur politischen Geschichte, speziell die NS-Zeit ist bisher nicht erforscht. Gerade da der länd-liche Raum Niedersachsens zum Kerngebiet der NS-Herrschaft gehörte, bietet es sich an, diese Lücke zu schließen. Ldersen 1938
Außerdem wäre es interessant zu erfahren, wie sich ein Bauerndorf in der Ernährungskrise des Ersten Weltkrieges verhielt oder wie die agrarischen Probleme zur Zeit der Weimarer Republik gelöst wurden. Sodann könnte das erzwungene Zusammenleben von Evakuierten, Heimatvertriebenen und Flüchtlingen genauer untersucht werden. Lüdersens Einwohnerzahl war um 1950 sprunghaft auf 1000 Personen angewachsen. Wann gingen die Städter zurück nach Hannover? Welche der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge blieben? Welche Rolle spielte das Anwesen Linderter Weg 4 (Kaysers Garten) als Wohnsitz wohlha-bender Städter, als Niederlassung alliierter Verwaltung, als Arbeiter-Erholungsheim und nun als Stätte des Diakonischen Werks Himmelsthür für den Ort? Wie erfolgte der dörfliche Aus-bau seit den 1950er Jahren nach Südosten (Thiefeld) und nach Norden (Wolfsberg) sowie westlich (Himmelreich) und östlich (Ortskamp) des alten Dorfkerns? War die Grund-, Schalt- und Vermittlungsstelle der Bundeswehr am Fuße des Süllberges nur Episode oder wird dieser Bereich eine Rolle bei der örtlichen Entwicklung Lüdersens spielen? Wie genau erfolgte die Aufgabe von Gewerbebetrieben, das Schließen der Schule, das so genannte „Höfesterben“, so dass Landwirtschaft nur noch eine nachgeordnete Rolle im Dorf spielt. Wie verhielt sich Lüdersen anlässlich der kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreform; warum gehört der Ort zu Springe? Bleibt dem Ortsrat ein genügendes Maß an politischer Gestaltungskraft? Welche Rolle spielte das erfolgreiche Mitwirken im Vorhaben „Unser Dorf soll schöner werden“ mit den Planungen aus dem Jahr 2001? Haben die Vereine, voran wohl heute die 1978 gegründe-te, weit über Lüdersen bekannte Bergbühne, die Sportgemeinschaft von 1973 oder die Frei-willige Feuerwehr genügende Integrationskraft für den Ort? Reichen ein Kindergarten, eine Gaststätte und die mit Bennigsen vereinte Kirchengemeinde aus, um dörfliches Leben zu ge-stalten? Muss Bürgersinn ersetzen, was kommunale Politik und Verwaltung nicht mehr leis-ten? Heißt neue Bürgergesellschaft, dass die Menschen vor Ort selbstbewusst das Heft in die Hand nehmen, sich beispielsweise gegen ein Zuviel an Windrädern wehren oder gar örtliche Brachflächen aufkaufen um Teile des Dorfes als eigenen Wirtschaftsbetrieb fortzuführen?

Lüdersen liegt fern von Springe, aber mitten im Calenberger Land und im Herzen der westlichen Region Hannover. Seine Lage als „Bergdorf“ ist einzigartig im Calenberger Land. Es verfügt mit seinen knapp 1000 Einwohnern über Tradition und Gemeinschaft, an die es sich anzuknüpfen lohnt, um kreativ die Zukunft zu gestalten: sich aktiv für den Heimatort einzu-setzen, setzt voraus, dass seine Geschichte bekannt ist.

Nachweise

Der Text beruht im Wesentlichen auf:

Carl-Hans Hauptmeyer, Zur Geschichte Lüdersens. In: Springer Jahrbuch 2009, S. 26-37.

Siehe darüber hinaus:

Schultz, Gernot u.a.: Lüdersen. Ein Dorf im Calenberger Land einst und jetzt. Springe 2005

Hauptmeyer, Carl-Hans u.a.: Annäherungen an das Dorf. Hannover 1983, S. 47-49, 148-157, 160-162

Hauptmeyer, Carl-Hans: Calenberg. Geschichte und Gesellschaft einer niedersächsischen Landschaft. Hannover 1983, S. 8 f., 26 f., 69-75, 92-94

Hauptmeyer, Carl-Hans: Agrarkrise, Wüstung, Mehrfelderwirtschaft, Meierrecht und Verdorfung im Calenberger Land. Überlegungen zum agrarischen Wandel des späten Mittelalters. In: Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte zum 65. Geburtstag von Hans Patze, Hildesheim 1984, S. 51-75

Hauptmeyer, Carl-Hans: Niedersächsische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im hohen und späten Mittelalter 1000-1500. In: Geschichte Niedersachsens 2,1, Hannover 1997, S. 1039-1378

Hauptmeyer, Carl-Hans: Geschichte Niedersachsens. München 2009

Vergleiche auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Lüdersen